Wie kann es sein, dass eine zeitgenössische Künstlerin, die den von einer internationalen Jury an sie vergebenen Konstanzer Kunstpreis 2022 erhält, ihrer zugehörigen Ausstellung den Titel «Handarbeit» gibt? Kein so häufig verwendeter Anglizismus, keine Formulierung aus dem aktuellen künstlerischen Diskurs, schlicht «Handarbeit». Ja, es kann sein, und es ist eine ganz bewusste Setzung Andrea Vogels. Handarbeit steht bei ihr einerseits für das Herstellen von Arbeiten mit den eigenen Händen, zum anderen für das Transformieren von gehandarbeiteten Materialien sowie für das tatsächliche «Hand anlegen», z.B. in ihrem Projekt «Sculpture Massage», in dem sie mit bestehenden Skulpturen performt. Ihr bildhauerischer Umgang mit Textilien und das Performative sind zwei entscheidende Grundlagen in Andrea Vogels Schaffen. Absurdität und Humor, aber auch Poesie finden sich in ihren Arbeiten. Textilien, insbesondere auch tatsächlich in Handarbeit entstandene textile Erzeugnisse, faszinieren die Künstlerin seit langem und inspirieren sie dazu, ihre besonderen physischen und optischen Eigenschaften zu erforschen und deren Grenzen zu überschreiten, indem sie mit unterschiedlichen Techniken darauf einwirkt. So zeigt ihre raumgreifende Installation im grossen Saal des Kunstvereins Konstanz ursprünglich zarte, kleinteilige, mit Liebe – dies spüren zu lassen ist Andrea Vogel wichtig - gehäkelte, gestrickte, geklöppelte Handarbeiten anonymer Personen, welche unter ihrer Einwirkung zu einem skulpturalen Werk werden, dunkel, energiegeladen und voller Spannung. Dabei transformiert sie Materialität, erzeugt fragile Stabilität, Reissfestes wird zerbrechlich, Romantik wird streng.

© Andrea Vogel, Fotografie, 2012, aus Fotoserie Biedermeier