Im Oktober des vergangenen Jahres zeigte Milo Rau hier zuletzt seine intentional gefeierte Inszenierung „Five Easy Pieces“, eine Koproduktion der Münchner Kammerspiele, in der Kinder die Ereignisse um den pädophilen Marc Dutroux rekonstruieren. Mit „Die 120 Tage von Sodom“ spinnt der Schweizer Regisseur die darin enthaltende theatrale Versuchsanordnung sowohl formal als auch inhaltlich weiter. Kann man mit behinderten SchauspielerInnen das wohl umstrittenste Werk der Filmgeschichte auf die Bühne bringen? In einer Alpenrepublik werden Jugendliche entführt und von Vertretern eines untergehenden faschistischen Regimes in einer Gewaltorgie zu Tode gequält. Milo Rau verortet diesen Stoff frei assoziierend in der Jetztzeit – einem postmodernen Feudalismus, der zwischen Genusssucht und Untergangsangst, Normalisierungswahn und kleinbürgerlicher Skandallust changiert. Es stellen sich grundsätzliche gesellschaftliche und künstlerische Fragen: Was ist Macht? Was ist Voyeurismus? Wie ist es um die Würde des Lebens bestellt? Was ist normal, was abartig? Wo endet der Schmerz – und wo beginnt die Erlösung?

Pro Helvetia